Dezember 2009
Der Dezember war von vielen vorweihnachtlichen Besuchern geprägt. Meine Tante Jutta und mein Cousin Yannick kamen für zwei Tage aus dem fernen Frankfurter Raum ins schöne Wolfsburg. Yannick ist mein Patenkind und ich freue mich immer sehr ihn zu sehen, da ich ja seit mehreren Jahren nicht mehr zu Familienfeiern oder - treffen anreisen und ihn so kaum noch sehen kann. Probleme mit der Anreise sind für Oliver Jünke ein Fremdwort – dieses Mal kam er mich mit seiner Pflegerin Juliane besuchen. Olli war vorher extra noch durchs KaDeWe gerast, um mir so einen schönen, bunt bemalten Berliner Bären zu kaufen. Der steht seitdem auf meinem Siteboard und immer wenn ich ihn sehe muss ich unweigerlich an Oliver denken. Nach wie vor kommt mich immer wieder donnerstags meine Freundin Kerstin alias Guffel besuchen, diesmal kam sie jedoch in Begleitung von Silke, einer früheren Schulfreundin. Wir hatten uns eine Ewigkeit nicht gesehen und dementsprechend viel zu erzählen. Es ist jedes Mal aufs Neue eine kleine Reise in die Vergangenheit und manchmal erschrecke ich mich, wenn ich daran denke, wie viel Zeit seitdem vergangen ist. Auch meine andere Freundin Kerstin schneite kurz vor Weihnachten bei mir rein, um mir die neusten Schoten ihrer beiden Kinder Moritz und Carlotta zu berichten. Schneien ist ein gutes Stichwort – pünktlich zu Weihnachten fiel der erste Schnee, und es schien, als wollte es gar nicht mehr aufhören zu schneien. In nur einer Nacht fielen über 30 cm Neuschnee und meine Mutter kam aus dem Schippen und Fluchen gar nicht mehr heraus. Die einzige, die sich über diese weißen Massen freute, war Judy. Sie hüpfte durch den Schnee wie ein junges Reh und man sah ihr ihre mittlerweile zehn Jahre überhaupt nicht an. Ihre Lieblingsbeschäftigung bestand darin Schnee zu fressen. Wenn sie mit ihrer Schnauze in die weiße Pracht eintauchte und danach wieder ihren Kopf anhob, hatte sie immer einen kleinen Schneeturm auf ihrer Nase…das sah zu süß aus! :o)
Der viele Schnee verhalf sogar mir in eine leichte Weihnachtsstimmung zu kommen. Ich hatte mir für dieses Jahr etwas ganz besonderes ausgedacht – ich wollte meine eigenen Bücher signieren. Da ich ja ohne fremde Hilfe nicht mehr schreiben kann und ich auch keine unleserliche Unterschrift ohne eine persönliche Widmung oder sonstige persönliche Note hinterlassen wollte, entschied ich mich für eine Art Handabdruck. Gemeinsam mit meiner Pflegerin Daniela nahmen wir das Projekt „Signierstunde“ in Angriff. Daniela kaufte sämtliche, im Wolfsburger Buchhandel erhältliche, Exemplare meines Buches auf, sie besorgte schwarze Stempelkissen und Farbe zum Nachfüllen. Aus einem Blatt Tonpapier schnitt sie mittig ein Herz aus. Dann begann die Sauerei. Daniela drückte meine Handinnenfläche solange auf das Stempelkissen, bis diese komplett schwarz eingefärbt war. Danach klebte sie die Schablone mit dem Herzausschnitt auf die erste leere Seite in meinem Buch und legte meine Hand anschließend flach auf das ausgeschnittene Herz, so dass sich meine Handlinien auf die Seite übertrugen. Diesen Vorgang wiederholten wir über dreißig Mal und doch sah jedes Herz anders aus. Die Herz-Bücher waren ein ganz persönliches Weihnachtsgeschenk und gleichzeitig ein Herzliches Dankeschön für all meine lieben Helfer, Therapeuten und Freunde. Auch meine gesamte Verwandtschaft bekam nach und nach mein Herzgeschenk. Ausnahmslos alle haben sich sehr über das persönliche und individuell gestaltete Buch gefreut. Weihnachten und Silvester waren in diesem Jahr noch schwerer zu ertragen als sonst. Das erste Weihnachten ohne meinen Vater war traurig, aber Luca hat uns alle ein wenig getröstet. Als Nina und ich vor dem Weihnachtsbaum zu weinen begannen, lief mir etwas Speichel aus den Mundwinkeln. Luca, der neben meiner Liege stand, sah das und rannte sofort wild gestikulierend zu meiner Box mit Kleenextüchern, holte ein paar und wischte mir damit den Mund ab. Wir waren alle so gerührt, dass wir noch mehr weinen mussten. Zum Glück war Luca da schon wieder auf dem Weg Nachschub zu besorgen und unsere Heulerei ging durch seine Rennerei irgendwann in Lacherei über.
Wenige Tage später verging mir das Lachen allerdings wieder. Infolge der langanhaltenden Kälte und der eisigen Temperaturen spielte unsere Fußbodenheizung verrückt. Sie heizte und heizte, so dass unsere Räume mehr und mehr zum Saunaparadies mutierten. Mein Badezimmer erklärte sich selbst zur Dampfsauna und selbst ich, die bei der morgendlichen Körperwäsche normalerweise vor Kälte mit den Zähnen klapperte, hatte Hitzewallungen. Aber noch schlimmer war es für meine Mädels. Sie mussten mich waschen, permanent zwischen Waschbecken und Toilette hin und her laufen, mich abtrocknen und anziehen – die meisten verspürten den dringenden Wunsch sich nackig zu machen. :o) Auch in den anderen Räumen herrschte eine Affenhitze, ich verzichtete sogar freiwillig auf meine beheizbare Kuscheldecke, ohne die ich Frostköttel normalerweise keinen einzigen Tag überstehe. Als ich am Abend im Bett lag, reichte es meiner Mutter und sie beschloss trotz völliger Ahnungslosigkeit der Heizung den Gar auszumachen. Ich hörte wie sie in den Keller marschierte und vor der Heizungsanlage wie ein Rohrspatz zu schimpfen begann. Naja, eigentlich fluchte sie eher wie ein städtischer Kanalarbeiter, jedes zweite Wort war „scheiße“. Sie klang dabei genauso wie mein Vater zu seinen besten Fluchzeiten. Wie gerne hätte ich meiner Mutter geholfen, aber dank der vermaledeiten ALS war ich wie so oft zum Zusehen bzw. Zuhören und Nichtstun verdonnert. Ich schloss die Augen und bat meinen Vater um Hilfe. Ich dachte: „ Papi, ich weiß das du da bist, wenn du mich hören kannst, gib Mami bitte ein Zeichen was sie tun muss.“ Keine zwei Sekunden nach dem ich den Gedanken ausgedacht hatte, hörte ich meine Mutter im Keller jubeln. Ob nun durch Zufall, Vorsehung oder tatsächlich durch einen unausgesprochenen Hinweis meines Vaters, hatte meine Mutter den richtigen Hebel umgelegt und das Thermostat fing langsam an zu fallen. Als ich die Jubelschreie hörte, lief es mir eiskalt den Rücken runter. Konnte das wahr sein? Hatte mein Vater mich wirklich erhört und meiner Ma geholfen? Diese Vorstellung war einerseits schon ein bisschen gruselig, andererseits aber auch sehr beruhigend und schön – für mich war es ein kleines Wunder.