Über ALS

Nervensystem
Allgemeines
Verbreitung der ALS
Grundlagen
Symptome der ALS
6
Zeichen der ALS
Diagnosestellung
8
Krankheitsverlauf
9
Therapieversuche

1 Nervensystem

Das Nervensystem des Menschen kann zum besseren Verständnis der Teilbereiche und deren komplexem Zusammenspiel sowohl nach der Struktur als auch nach der Funktion unterteilt werden. Anatomisch (=strukturell) sind das Zentralnervensystem (ZNS) und das periphere Nervensystem (PNS) zu unterscheiden. Das ZNS umfasst das Gehirn (Großhirn, Hirnstamm, Kleinhirn) und Rückenmark, die verbleibenden, dem Gehirn und Rückenmark entspringenden Nerven mit ihren Fortsätzen in periphere Nerven bilden das PNS. Physiologisch (=funktionell) können die sensorischen und motorischen von den vegetativen Aufgaben des Nervensystems abgegrenzt werden. Das senso-motorische Nervensystem ermöglicht die Auseinandersetzung des Organismus mit seiner Umgebung. Das sensorische Nervensystem empfängt sämtliche Sinneseindrücke durch sehen, hören, riechen, schmecken und fühlen von Berührung, Temperatur oder Schmerz, leitet diese über die Nervenfasern des PNS, über die Bahnen des Rückenmarkes bis zu speziellen Bereichen des ZNS im Gehirns weiter, wo die Sinneseindrücke schließlich wahrgenommen werden. Die Aufgabe des motorischen Nervensystems ist dagegen die Motorik, d.h. die Entstehung und willkürliche Steuerung von Bewegung. Im Gegensatz zum senso-motorischen Nervensystem regelt das vegetative (autonome) Nervensystem vor allem die unwillkürlichen Steuerungsvorgänge innerhalb des Organismus. Unter Kontrolle des vegetativen Nervensystems stehen unter anderem der Blutdruck, der Herzschlag, die Ausschüttung zahlreicher Hormone, die Funktion des Magendarmtraktes und der Drüsen.

2 Allgemeines

Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist bereits mehr als 100 Jahren bekannt und wurde erstmals 1869 von dem französischen Neurologen Jean-Martin Charcot in Paris beschrieben. Deshalb wird sie auch als Maladie du Charcot bezeichnet. Weitere Namen der ALS sind Motor Neuron Disease (MND) und Lou Gehrig’s Disease. Sie ist in der Regel keine erbliche Erkrankung sondern tritt sporadisch auf. Mit Ausnahme der seltenen erblichen Form ist ihre Ursache bisher noch unbekannt, auch wenn es verschiedene Hypothesen bezüglich des Ursprungs der Krankheit gibt. Trotz intensiver Forschung ist ALS nicht heilbar. ALS ist aber weder ansteckend noch in irgendeiner Form auf andere Menschen übertragbar. Obwohl der Krankheitsverlauf und das Krankheitstempo bei den ALS-Patienten erheblich variieren können, liegt die Lebenserwartung der Betroffenen durchschnittlich bei drei bis fünf Jahren. Amyotrophe Lateralsklerose ist eine sehr ernste, chronisch fortschreitende Erkrankung des zentralen und peripheren Nervensystems. Jedoch ist nur das motorische Nervensystem betroffen, derjenige Teil des senso-motorischen Nervensystems, der für die willkürliche Steuerung der Skelettmuskulatur verantwortlich ist. Die motorischen Nervenzellen werden sowohl im Gehirn und Rückenmark (ZNS) als auch in den peripheren Nervenbahnen (PNS) dauerhaft geschädigt bzw. zerstört. Da die Nerven und Muskeln eine funktionelle Einheit sind, führt das Absterben der motorischen Nervenzellen nach und nach auch zum Verkümmern der Skelettmuskulatur und damit zu Schwäche, Muskelschwund, Lähmung und/oder Steifigkeit.  Für den Betroffenen bedeutet das eine unaufhaltsam zunehmende Muskellähmung am ganzen Körper einschließlich der Atemmuskulatur und damit den frühzeitigen Tod. Die ALS betrifft weder das sensorische noch das vegetative Nervensystem. Daher bleiben die Empfindung für Berührung, Schmerz und Temperatur, das Sehen, Hören, Riechen und Schmecken sowie auch die geistige Leistungsfähigkeit normal. Ebenso bleibt die unwillkürliche Muskulatur der inneren Organe wie Herz, Blase und Darm, die Sexualmuskulatur und die Augenmuskeln verschont.  Häufig wird ALS mit Multiple Sklerose (MS) verwechselt, bei der es sich um eine entzündliche Degeneration des zentralen Nervensystems handelt, die zudem nicht gleichmäßig sondern in Schüben verläuft. Es sind unterschiedliche Erkrankungen, für die dementsprechend unterschiedliche Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. 

3 Verbreitung der ALS

ALS ist in der ganzen Welt verbreitet und auch ihre Häufigkeit ist weltweit vergleichbar. Allerdings scheint die Zahl der Erkrankungen insgesamt in den letzten Jahren zuzunehmen. Die Häufigkeit der ALS wird jedoch immer noch unterschätzt. In einer Bevölkerung von 100.000 Einwohnern sind derzeit zwischen drei und acht Menschen erkrankt. Allein in Deutschland sind 6000 Patienten betroffen. Pro Jahr erkranken zudem etwa zwei von 100.000 Personen, so dass in Deutschland jährlich ca. 1500 Neuerkrankungen auftreten. In einigen Regionen des westlichen Pazifiks konnte lange eine deutlich höhere, jetzt jedoch wieder rückläufige Häufung der ALS beobachtet werden. Auch in Deutschland existieren Ballungsräume, in denen ALS–Fälle aus bisher unbekannter Ursache deutlich häufiger auftreten (z.B. Schöningen). Auffällige Häufungen wurden darüber hinaus bei jungen, sportlichen Personen bestimmter Berufsgruppen festgestellt. Zum Beispiel erkrankten nach dem Golfkrieg 1990 unerwartet viele Soldaten unter 45 Jahren der amerikanischen Armee an ALS. Auch bei Fußballsprofis in Italien konnte ein erhöhtes, aber unerklärtes Risiko für eine Erkrankung nachgewiesen werden. Auch der ehemalige Mittelfeldspieler des VfL Wolfsburg Krzysztof Nowak verstarb 2005 mit  29 Jahren an ALS. In Deutschland war der Maler Jörg Immendorff, weltweit der Astrophysiker Stephen Hawking, der 1962 im Alter von 20 Jahren erkrankte, prominentester ALS-Patient. Das Haupterkrankungsalter liegt zwar zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr, dennoch erkranken die jüngsten Patienten bereits im Alter von 20-30 Jahren an ALS. Da aber weniger als 10% der Patienten vor dem 40. Lebensjahr erkranken, liegt das mittlere Erkrankungsalter bei 56-58 Jahren. Männer sind dabei etwas häufiger betroffen als Frauen (etwa 1,5:1).

4 Grundlagen

Bei der ALS erkrankt das motorische System, das die Skelettmuskulatur kontrolliert und die Bewegungen des Körpers steuert, in seinen zentralen und peripheren Bereichen. An dem komplizierten Prozess der Steuerung der Muskulatur sind zwei Gruppen von motorischen Nervenzellen (Motoneurone, motorische Neurone) beteiligt. Die motorischen Nervenzellen im Gehirn einschließlich ihres langen Nervenfortsatzes (Axon), der bis zum Rückenmark reicht, heißen oberes bzw. 1. Motoneuron. Das Axon des ersten motorischen Neurons hat Kontakt mit motorischen Nervenzellen im Rückenmark, die als unteres bzw. 2. Motoneuron bezeichnet werden. Die Nervenzellen im Rückenmark (Vorderhornzellen) stellen durch lange Nervenfortsätze die Verbindung zur Muskulatur her. Im Gegensatz zu anderen neurologischen Erkrankungen sind bei der ALS beide motorische Neurone, d.h. das 1. und 2. Motoneuron, erkrankt und es kommt zum Untergang der motorischen Nervenzellen. Diese Zerstörung äußert sich bei den betroffenen ALS-Patienten vor allem in Form von Muskelschwäche, Muskelschwund (Atrophie), Lähmungen (Paresen) und Steifigkeit (Spastik). Eine Schädigung der motorischen Neurone ist wahrscheinlich bereits viele Jahre, möglicherweise Jahrzehnte vor Auftreten der ersten Symptome vorhanden. Der Mensch hat eine außerordentliche Fähigkeit, den Zellzerfall zu kompensieren. Erst wenn etwa die Hälfte der Nervenfasern zerstört ist, werden neurologische Symptome manifest.

5 Symptome der ALS 

Die ersten Symptome der ALS sind relativ diffus und treten bei den Betroffenen an ganz unterschiedlichen Stellen auf. Bei einem spinalen Krankheitsbeginn zeigen sich erste Symptome an den Extremitäten, also an den Armen und Beinen. Die Schädigung des 1. Motoneurons wird dabei durch eine Erhöhung des Muskeltonus mit spastischen Lähmungen und einer Steigerung der Reflexe deutlich. Wesentlich häufiger zeigt sich der Krankheitsbeginn jedoch durch die Schädigung des 2. Motoneurons, weil dadurch die Aktivierung der Muskulatur durch das Nervensystem vermindert wird. Typische Symptome dafür sind Muskelschwäche (Kraftminderung, Paresen) und Muskelschwund (Atrophie) sowie schmerzhafte Muskelkrämpfe und unwillkürliche Muskelzuckungen (Faszikulationen). Die meisten Betroffenen bemerken den Beginn der Erkrankung durch einen Kraftverlust, der sich, je nachdem welche Muskelpartie betroffen ist, unterschiedlich zeigt. Zunächst kann zum Beispiel nur die Hand- und Unterarmmuskulatur einer Körperseite betroffen sein. Die Kraftminderung fällt dann durch eine Ungeschicklichkeit der Hände beim Schreiben, Essen mit Messer und Gabel, Öffnen von Reißverschlüssen oder Knöpfen auf. Ähnlich häufig ist ein Beginn in der Unterschenkel- und Fußmuskulatur. Typische Beschwerden sind dann vor allem eine Schwäche der Beine, eine Gangunsicherheit oder gelegentliches Stolpern. Schmerzen gehören typischerweise nicht zum Bild der ALS. Allerdings können durch den Muskelschwund, sowie durch Krämpfe und Kontrakturen sekundär bedingte Schmerzen auftreten. Bei etwa 20-30% der Patienten treten die ersten Symptome durch eine Schwächung der Sprech-, Kau- und Schluckmuskulatur auf. Bei einem bulbären Krankheitsbeginn sind die im Hirnstamm liegenden motorischen Nervenzellen betroffen, wodurch Sprech-, Kau- und Schluckstörungen entstehen. Diese Form der ALS wird als progressive Bulbärparalyse bezeichnet.  Häufige Symptome sind eine verwaschene Sprache, Probleme beim Kauen und Schlucken, vermehrter Speichelfluss, feine Muskelkontraktionen und eine Kraftverminderung bzw. Steifigkeit der Zunge. Es ist möglich, dass die veränderte Sprache zuerst den Mitmenschen auffällt, bevor der Patient selbst die schleichende Veränderung der Sprache bemerkt. Trotz der unterschiedlichen Beschwerden der Patienten, liegt der spinalen und der bulbären Verlaufsform die gleiche Ursache zugrunde. Die möglichen Symptome der ALS in Abhängigkeit des beteiligten motorischen Systems zeigt die folgende Übersicht:

Beteiligtes System

1. Motoneuron

2. Motoneuron

Bulbärparalyse

Mögliche Symptome

Gesteigerte Reflexe

Muskelschwäche

Sprechstörung

 

Erhöhter Muskeltonus

Muskelatrophie

Schluckstörung

 

Spastik

Muskellähmung

Vermehrter Speichelfluss

   

Muskelkrämpfe

Zungenrandatrophie

   

Faszikulationen

Zungenfaszikulieren

 

6 Zeichen der ALS

Während die Symptome einer ALS vom Patienten selbst bemerkt werden, kann der Arzt bei der Untersuchung bestimmte klinische Zeichen der Schädigung des ersten und zweiten Motoneurons feststellen. Sie sind eine wichtige Grundlage für die spätere klinische Diagnose der ALS.

Zeichen für die Schädigung des 1. Motoneurons:

- Steifigkeit und Rigidität (Spastik)
- Koordinationsstörungen
- gesteigerte Reflexe oder Kloni
- emotionale Labilität
- Pyramidenbahnzeichen (Babinski-Reflex)
- spastische Dysarthrie

Zeichen für die Schädigung des 2. Motoneurons:

- Schwäche und Muskelschwund (Paresen und Atrophien)
- unwillkürliche Muskelzuckungen  (Faszikulationen)
- Muskelkrämpfe
- abgeschwächte Reflexe
- verminderter Muskeltonus (Hypotonie)
- Schluckstörungen (Dysphagie)
- Kurzatmigkeit bereits in Ruhe (Ruhedyspnoe)


Babinski-Reflex:
Der Fußsohlenreflex antwortet normalerweise bei Bestreichen mit einer Greifbewegung der Zehen. Bei einer Schädigung der Pyramidenbahn führt das Bestreichen der Fußsohle dagegen zu einer gegenläufigen Bewegung der großen Zehe nach oben, während die übrigen Zehen die Greifbewegung ausführen.

7 Diagnosestellung

Die Diagnosestellung der ALS sollte ausschließlich durch einen Neurologen erfolgen. Neben den vom Patienten bemerkten Symptomen kann der Nervenfacharzt bei der Untersuchung zusätzliche charakteristische Zeichen für die Schädigung des 1. und 2. Motoneurons bzw. des bulbären Systems feststellen. Zunächst erfolgt eine klinische Untersuchung des Patienten, bei der festgestellt wird, ob durch eine Erhöhung des Muskeltonus eine Steifigkeit der Extremitäten und eine Reflexsteigerung in den betroffenen Muskelgruppen vorliegen. Diese Zeichen sowie das Auftreten des so genannten Babinski-Reflex  weisen auf eine Schädigung des 1. Motoneurons hin. Außerdem muss die Muskulatur des Patienten im Hinblick auf Kraft, Muskelschwund, Lähmungen sowie mögliche Muskelkrämpfe und Faszikulationen beurteilt werden, um eine Schädigung des 2. Motoneurons nachzuweisen. Feine Muskelbewegungen sind ein typisches, jedoch unspezifisches Merkmal der ALS. Sie können bei unterschiedlichen neurologischen Störungen und sogar bei gesunden Personen auftreten. Eine Diagnosestellung der ALS auf Grundlage von Faszikulationen ist nicht gerechtfertigt. Das gleichzeitige Auftreten von Lähmungen, Muskelschwund, Spastik und Reflexsteigerung und somit eine Schädigung beider motorischen Neurone, ist typisch für ALS und eine wichtige Grundlage für ihre spätere Diagnose. Ebenso ist eine Beurteilung der Sprache, des Schluckvorgangs und der Atemfunktion wichtig, um zu erkennen, ob das bulbäre System ebenfalls betroffen ist. Da die Empfindung von Berührung, Schmerz und Temperatur bei ALS ungestört bleibt, ist das Vorliegen von Gefühlstörungen ein Hinweis auf eine andere oder zusätzliche Erkrankung.

Darüber hinaus müssen durch umfangreiche Zusatzdiagnostik weitere Funktionen des Nervensystems untersucht werden, um über das Ausschlussverfahren der ALS sehr ähnliche, aber ursächlich unterschiedliche Erkrankungen auszuschließen und um Fehldiagnosen zu vermeiden. Wichtige Zusatzuntersuchungen der Erstdiagnostik sind die Elektromyographie (EMG), bei der die Muskelaktivität gemessen wird, um Rückschlüsse auf die Schädigungen der peripheren Nervenstrukturen zu ziehen, die Messung der Nervenleitgeschwindigkeit (NLG), d.h. der Reaktionsgeschwindigkeit von Nerven und Muskeln auf dosierte elektrische Impulse, sowie verschiedene bildgebende Verfahren wie Kernspintomographie und Röntgen. Außerdem sind Untersuchungen des Blutes, des Urins und des Nervenwassers (Liquor) erforderlich. Es gibt jedoch keine Untersuchung, mit der eine ALS-Erkrankung eindeutig bewiesen werden kann. Die klinische Diagnose muss bei typischem Untersuchungsbefund und Krankheitsverlauf, nach Ausschluss ähnlicher Erkrankungen, gestellt werden.Die Aufklärung der Patienten und der nächsten Angehörigen erfordert Verständnis, Offenheit, Zeit und Mitgefühl.  Die Patienten sollten auch über den generellen Verlauf der Erkrankung, zu erwartende Probleme, die Betreuungsmöglichkeiten durch ALS-Ambulanzen, den Stand der Forschung, therapeutische Optionen und lokale Selbsthilfeorganisationen informiert werden.

8 Krankheitsverlauf

Der Verlauf der ALS, die einzelnen Beschwerden und ihr zeitliches Auftreten sind bei den Patienten individuell unterschiedlich und hängen vor allem davon ab, welche Muskelregion zuerst befallen ist. Bei einem spinalen Krankheitsbeginn beginnen die Beschwerden normalerweise in einer einzelnen Muskelregion, z.B. mit einem Muskelabbau der kleinen Handmuskeln eines Armes oder feinen Muskelzuckungen. Nach und nach breiten sich die Symptome der Hand- und Armmuskulatur auch auf benachbarte Muskelregionen aus, z.B. vom Arm auf die Schulter oder den anderen Arm. Der Betroffene wird bei alltäglichen Verrichtungen mit Armen und Händen, wie Greifen, Heben, Tragen, Schreiben, Schneiden, Essen und Körperpflege erheblich eingeschränkt. Ebenso schreitet ein anfänglicher Befall der Beinmuskulatur kontinuierlich fort und führt zu Koordinationsproblemen, Gehstörungen, Stolpern und Stürzen. Die ALS hat einen linearen Verlauf, d.h. die Verschlechterung verläuft konstant und nicht schubförmig. Die Geschwindigkeit der Ausbreitung variiert individuell und kann viele Monate oder nur wenige Wochen betragen. Im weiteren Krankheitsverlauf sind jedoch in der Regel sowohl die Arme als auch die Beine betroffen. Der Untergang der motorischen Nervenzellen und der daraus resultierende Muskelschwund verursachen eine fortschreitende Lähmung der betroffenen Extremitäten und somit eine vollständige Immobilisierung der ALS-Patienten mit Ausnahme der Augenbewegungen.

Bei einem bulbären Krankheitsbeginn führt die Funktionsbeeinträchtigung der Zungen-, Schlund- und Gaumenmuskulatur zu massiven Kau- und Schluckstörungen mit häufigem Verschlucken. Bestimmte Nahrungsmittel, insbesondere sehr dünnflüssige, krümelige oder feste Nahrungsmittel, bereiten dann erhebliche Schwierigkeiten, so dass eine spezielle Nahrungszusammenstellung notwendig ist. Außerdem wird die Artikulation der Betroffenen zunehmend erschwert und führt letztendlich zur Unfähigkeit zu sprechen. Durch die Lähmung der Gesichtsmuskulatur kommt es im weiteren Krankheitsverlauf häufig zum Entweichen von Speichel, was viele Betroffene als äußerst unangenehm und belastend empfinden. Durch entsprechende Medikamente kann die Bildung von Speichel vermindert werden. Die bulbären Symptome treten im Verlauf der ALS aber auch zusätzlich bei den meisten Patienten mit spinalem Krankheitsbeginn auf. Als unangenehme Nebeneffekte der ALS können unkontrollierbares Gähnen, Zwangsweinen und Zwangslachen, Klonus, Beuge- bzw. Streckspastik in Armen und Beinen oder Verdauungsprobleme aufgrund mangelnder Bewegung auftreten. Schlafstörungen, Muskel- und Gelenkschmerzen, Kurzatmigkeit sowie hoher Gewichtsverlust und optische Veränderungen infolge des Muskelabbaus stellen weitere Probleme dar.

Im fortgeschrittenen Krankheitsstadium entsteht durch die Schwächung der Atemmuskulatur eine lebensbedrohliche Situation. Sie ist die häufigste Todesursache der ALS. Die Patienten sterben jedoch keinen qualvollen Tod, sondern schlafen meist friedlich ein. Die mittlere Überlebenszeit nach der Diagnosestellung beträgt drei bis fünf Jahre. Nur etwa 10% der ALS-Patienten haben einen langsameren Verlauf von mehr als 5 Jahren und in seltenen Fällen leben die Betroffenen länger als 10 Jahre. Einige Patienten zeigen extrem lange Krankheitsverläufe von 20 bis 30 Jahren, weil der Krankheitsbeginn bei ihnen bereits im Jugendalter war. Eine Abschätzung der Überlebenszeit eines individuellen Patienten ist jedoch bei Krankheitsbeginn nicht möglich. Allerdings ist die Prognose umso günstiger, je früher die Diagnose gestellt und die Behandlung begonnen wird. 

9 Therapieversuche

Die ALS ist zwar bisher nicht heilbar, dennoch sollte nach der Diagnosestellung sowohl eine medikamentöse als auch eine symptomatische Therapie einsetzen. Bei der medikamentösen Therapie steht die neuroprotektive (nervschützende) Wirkung des Medikaments Rilutek mit seinem aktiven Wirkstoff Riluzol im Vordergrund, die hauptsächlich auf eine Verlangsamung der Krankheit abzielt. Riluzol ist ein Glutamat-Hemmstoff, der bislang als einziger in einem Studienzeitraum von 18 Monaten eine lebensverlängernde Wirkung von durchschnittlich drei Monaten bei ALS-Patienten gezeigt hat. Rilutek kann jedoch lediglich die individuelle Krankheitsprogredienz vermindern. Es kann weder bereits verlorengegangene Funktionen wiederherstellen noch ALS heilen. Daneben stehen Behandlungsversuche mit anderen Wirkstoffen zur Verfügung, wie mit Vitamin E oder Kreatin. Gegenstand der klinischen Forschung ist die Identifizierung neuer Medikamente mit einer verbesserten Wirksamkeit.

Die symptomatische Therapie umfasst die Behandlung der ALS-bedingten Symptome, Beschwerden und Behinderungen zur Verbesserung der Lebensqualität der Betroffenen. Durch Physiotherapie sollen noch vorhandene Muskelfunktionen erhalten werden. Bei einer noch vorhandenen Restbeweglichkeit haben sich vor allem isometrisches Muskeltraining und Übungen gegen einen leichten Widerstand bewährt. Sie fördern neben dem Bewegungseffekt auch die Muskeldurchblutung. Außerdem sind eine individuelle Bewegungstherapie, Dehnungsübungen, ein Koordinations- und Gleichgewichtstraining, sowie die Behandlung einer vorhandenen Spastik sinnvoll. Die Physiotherapie kann Muskelkrämpfen vorbeugen, Muskel- und Sehnenverkürzungen durch die fortschreitende Lähmung vermeiden und spastisch bedingte Bewegungseinschränkungen verringern. Wichtigstes Ziel der Ergotherapie ist die Verbesserung oder Kompensation der krankheitsbedingt eingeschränkten Funktionen und Fähigkeiten durch individuelle Lösungen. Das Training motorischer Fähigkeiten, insbesondere der Feinmotorik, das ADL-Training (activities of daily living training) und eine individuelle Hilfsmittelberatung sollen den Betroffenen helfen, mit ihrer zunehmenden Behinderung zu leben. Alltägliche Tätigkeiten müssen sowohl durch die Anschaffung von Hilfsmittel wie Rollator, Rollstuhl, spezieller Computer- und Umfeldsteuerungssysteme, als auch durch die Hilfe von Angehörigen und Pflegekräften unterstützt werden. Bei Sprech-, Kau- und Schluckstörungen wird mit einer logopädischen Therapie versucht, diese Funktionen so lange wie möglich zu erhalten. Bei Sprechstörungen wird durch faziale Übungen, spezielle Atem- und Sprechübungen die Nutzung der Restfunktionen des Sprechapparates gesichert. Im fortgeschrittenen Stadium ist jedoch eine Versorgung mit Kommunikationshilfen erforderlich, die eine Verständigung ohne Lautsprache des Patienten ermöglichen. Bei Beginn einer Kau- und Schluckstörung ist ein funktionelles Schlucktraining notwendig. Dabei erlernen die Patienten wichtige Kompensationsstrategien wie die Verkleinerung der Schluckeinheiten oder absichtliches Husten nach dem Schlucken. Bei einer Zunahme der Schluckstörung mit Gewichtsverlust, häufigen Aspirationen und Infekten der oberen Atemwege sowie einer Verlängerung der Mahlzeiten, ist die Entscheidung über die Anlage einer Ernährungssonde erforderlich.

Die fortschreitende Minderung der Atemfunktion durch die Störung der neuronalen Steuerung der Zwerchfell- und Atemhilfsmuskulatur bedingt eine übermäßige Kohlendioxid-Anreicherung im Körper der Patienten. Dies führt zu Tagesmüdigkeit, Abgeschlagenheit, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Unruhezuständen und Konzentrationsproblemen. Zur Behandlung einer chronischen Minderbeatmung entscheiden sich etwa 15% der ALS-Patienten für eine Maskenbeatmung. Die akute Verschlechterung der Atemfunktion ist oft die Folge von Infekten der oberen Atemwege durch Aspiration, d.h. durch das unkontrollierte Eintreten von Speichel oder Nahrung in die Atemwege. Um Infekten z.B. durch die Entzündung des Bronchialsystems oder der Lungen vorzubeugen, sind eine gezielte Atemgymnastik und die Behandlung mit Sekret lösenden Wirkstoffen sinnvoll. Nimmt die Schwäche der Atemmuskulatur zu, kommt es zur fortschreitenden respiratorischen Insuffizienz. In diesem Fall besteht die Möglichkeit eines Luftröhrenschnittes (Tracheostomie) in Verbindung mit einer maschinellen Beatmung (tracheostomiegestützte Beatmung). Diese Entscheidung ist für den Patienten von weitreichender medizinischer und psychosozialer Konsequenz, da sie nicht rückgängig gemacht werden kann. Eine invasive Langzeitbeatmung, meist durch eine häusliche Beatmungstechnik, wird daher nur von ca. 4% der ALS-Patienten gewünscht. Durch den Verlust der Sprache, der natürlichen Nahrungsaufnahme und aller motorischen Funktionen mit Ausnahme der Augenmotorik ist die ALS eine der schwerwiegendsten, und dennoch zugleich unerforschtesten, Erkrankungen der neurologischen Medizin.

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